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Experteninterview mit Herrn Jörg Meier

30. Januar 2017

Die Digitalisierung verändert die Beziehung zwischen Kunden und Unternehmen sehr stark: Der Kunde wandelt sich vom Konsumenten zum Entscheider, der bestimmt, welches Produkt, welcher Service, welches Unternehmen überlebt. Echte Kundenorientierung ist deshalb oberstes Gebot – sowie die Entwicklung von tatsächlich neuen und innovativen Produkten bzw. Leistungen.
Über diesen und weitere Erfolgsfaktoren der Digitalisierung sprachen wir mit Jörg Meier, Group Lead eBusiness Enabler in der Digital & Strategy bei Vodafone Deutschland.

In dieser Position verantwortet Herr Meier den Betrieb und die konzeptionelle Weiterentwicklung diverser Systeme der eCommerce Plattform für Online- und Telesales-Kanäle. 1981 geboren, zählt er sich noch knapp zu den Digital Natives und probiert jeden neuen Trend aus. Um flexibel und up2date zu bleiben, beherbergt er sowohl Windows-, Apple- und Android-Devices in seiner privaten Gadget-Sammlung. Besonders begeistert ihn in letzter Zeit der intelligente Sprachassistent Alexa von Amazon.

Mann mittleren Alters, steht mit verschränkten Armen angelehnt vor einer Mauer

HRCIE: „Herr Meier, was bedeutet Digitalisierung für Sie? Welche Auswirkungen hat sie grundsätzlich auf die Unternehmen? Und welche Rolle spielt der Kunde?“

Jörg Meier: „Die Digitalisierung wirkt sich stark auf unsere Gesellschaft und Unternehmen aus – auf unsere Arbeit und die Produktionsprozesse. Neue Jobs, Produkte und Dienstleistungen entstehen, gleichzeitig verschwinden mehr und mehr klassische Berufsfelder oder werden ins Ausland verlagert. Weder die Gesellschaft noch Unternehmen wissen aktuell wirklich, wohin die Reise geht. Das macht es sehr spannend, aber auch beängstigend. Je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt oder welche Rolle man in dieser Entwicklung spielt.

Was Unternehmen angeht, so erleben wir gerade die totale Ermächtigung des Endkunden. Durch Transparenz und Vergleichbarkeit hat der Kunde die Wahlmöglichkeit. Persönliche Kontakte zu Unternehmen bzw. dem Vertrieb verlagern sich vom 1:1-Kontakt hin zu Communities, die ihre Erfahrungen mit Produkten, Leistungen und Unternehmen teilen. Produkte und Dienstleistungen werden überall zu jeder Zeit verfügbar und dabei auch immer austauschbarer. Gelingt es Unternehmen mit ihren Geschäftsmodellen nicht, Kundenprobleme zu lösen und damit für den Kunden einen Mehrwert zu schaffen, haben sie in absehbarer Zeit ein großes Problem.

Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, Kundenbedürfnisse und -bedarfe kennenzulernen, gezielt abzufragen und besonders mittels Technik auch zu erfüllen. Das wird neue Wettbewerber in einer Geschwindigkeit auf den Plan rufen, die wir in der Vergangenheit noch nicht für möglich gehalten haben. Der Kunde wird dabei nicht nur Konsument sein, sondern Entscheider. Er bestimmt, wer überlebt. Weil er zum ersten Mal eine echte Wahl hat und die Stimme des einzelnen durch Communities etwas zählt – über die Grenzen des „realen“, direkten Umfelds von Freunden und Familie hinaus.“

HRCIE: „Was hindert das Unternehmen daran, sich zu verändern und die zunehmende Digitalisierung erfolgreich intern und extern zu nutzen?“

Jörg Meier: „Unternehmen sollten den Mut aufbringen, sich kundenorientierter aufzustellen und tatsächlich neue innovative Produkte und Leistungen anzubieten. Guter Service allein ist kein wirkliches Differenzierungsmerkmal mehr und sichert keine Kundenbindung. Auch die klassischen Organisationssilos sollten verschwinden – Kunden interessieren sich nicht für interne Abläufe und Hürden und nehmen diese lediglich als Prozess- und Qualitätseinbußen wahr. Die gesamte Organisation muss sich auf den Kunden ausrichten. Eine zusätzliche Hürde, gerade für klassische Organisationen, ist die Geschwindigkeit, in der neue Technologien adaptiert werden. Hier hinken besonders große Unternehmen aufgrund komplexer Entscheidungswege und geringer Risikobereitschaft hinterher.“

HRCIE: „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Organisationen wird die sinnvolle Nutzung von Informationen sein. Was hindert Unternehmen hier?“

Jörg Meier: „Informationen müssen erhoben, strukturiert, gespeichert, geschützt und gepflegt werden, um sie sinnvoll nutzen zu können. Dafür bedarf es nicht nur neuer Systeme und Prozesse, sondern auch neuer Mitarbeiter, die diese Aufgaben übernehmen können. Das alles bindet Kapital. Auf der anderen Seite fehlt es vielen Unternehmen an Ideen, wie sie diese Investitionen monetarisieren können. So entsteht kein positiver Business Case, der klassische Manager überzeugt, entsprechende Projekte anzugehen. Ein zusätzlicher Faktor könnte die Sorge einiger Manager sein, (teilweise) entmachtet zu werden – sobald die erhobenen Informationen massiv zur Entscheidungsfindung im Unternehmen beitragen und nicht mehr ihre eigene Einschätzung oder Direktive.“

HRCIE: „Welche Unternehmen können sich digitalisieren? Welche Erfolgsfaktoren spielen eine zentrale Rolle?“

Jörg Meier: „Unternehmen, die konsequent alles in Frage stellen (auch das, was aktuell noch vermeintlich gut ist) und dann auch mutig genug sind, radikale Veränderungen umzusetzen, haben die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung. Reine Effizienzsteigerungen durch digitalisierte Prozesse werden nur kurzfristige Linderung bringen. Ohne das aktuelle Geschäftsmodell umfassend zu evaluieren und es ggf. unter Berücksichtigung zukünftiger Technologien und Kundenanforderungen anzupassen, wird es schwer für die Unternehmen. Dafür braucht es eine starke Leadership-Kultur. Die Einführung eines „Digital Officers“ allein reicht nicht bzw. ist im Zweifelsfall auch gar nicht die Lösung. Solche Veränderungen müssen von der ganzen Führungsmannschaft verstanden und im Unternehmen durchgesetzt werden. Diese Transformation geschieht am besten in einem Top-down-Ansatz.

Zukünftig werden vor allem die Unternehmen für Kunden attraktiv bleiben, die Kanäle, Touchpoints und Services im Sinne des Kunden vernetzen – und das auch über die Grenzen des eigenen Angebots hinweg. Produkte und Dienstleistungen werden sich in zwei Hauptkategorien aufteilen: Unique Services/Products und Plattformen/Infrastrukturen. Dabei ergänzen sich beide Arten und brauchen einander. Die Produkte und Dienstleistungen bauen auf bereitgestellten Plattformen und Ökosystemen auf und liefern durch intelligente Vernetzung und Kombination neue Unique Services, die Traffic auf den Plattformen generieren. Die Plattformbetreiber müssen Vernetzung als Kernkompetenz begreifen und die Nutzung der Plattform/Infrastruktur so einfach wie möglich gestalten, um attraktiv für Service/Product Provider zu sein.“

HRCIE: „Was machen erfolgreiche alte Player wie z. B. OTTO anders?“

Jörg Meier: „Otto befindet sich in einer beeindruckenden Transformation vom klassischen Versandhaus mit Papierkatalog hin zum eCommerce Capability Provider, der Dienstleistungen entlang der kompletten Prozesskette anbietet – von eCommerce-Plattformen über Finanzdienstleistungen bis hin zu Logistik-Lösungen. Das Unternehmen bleibt seinen Ursprüngen treu, nutzt aber Ideen und Chancen der Digitalisierung, um seine Kernkompetenzen stärker zu monetarisieren.

Ein interessantes Beispiel ist hier der Online Shop „About You“, der sich auf ein spezielles Kundensegment fokussiert und als eigene Unternehmung aufgezogen wurde. Otto nutzt seine Ressourcen und Fähigkeiten, um neuen Ideen in Form von Start-up-ähnlichen Konstrukten einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Otto diversifiziert sich so und erschließt neue Einnahmequellen. Darüber hinaus ist interessant zu sehen, wie Otto das Know-how rund um die Digitalisierung intern bündelt und so eine Reaktionsgeschwindigkeit sicherstellt, die mit Near- oder Offshore-Modellen nur schwer zu erreichen ist.“

HRCIE: „Welche möglichen Veränderungen erwarten Sie in den nächsten Jahren – und was wird 2022 anders sein?“

Jörg Meier: „Grundsätzlich erwarte ich weiterhin eine hohe Veränderungsgeschwindigkeit bzw. Innovationen in kurzen Abständen. Möglicherweise sehen wir die ersten Abwärtstrends bei großen, etablierten Unternehmen, die es nicht geschafft haben, sich gegen die Disruption ihres Geschäftsmodells oder Markts zu behaupten.
Die Macht der Kunden wird weiter steigen. Gleichzeitig verleihen die Kunden Unternehmen wie Apple, Google, Facebook und Amazon enorm viel Marktmacht – weil sie deren Dienste nutzen und ihnen sämtliche Nutzerdaten überlassen.

Im B2B-, aber auch im B2C-Bereich wird sich das Internet of Things immer mehr ausbreiten und in unser aller Alltag spürbar sein. Durch die steigende Vernetzung von allen möglichen Gegenständen werden mehr und mehr individualisierte Services und Produkte entstehen, die speziell auf Einzelpersonen oder Unternehmen zugeschnitten sind. Deswegen setzt beispielsweise Vodafone als Netzbetreiber schon heute auf gigabit-fähige Netze, um die enorme Menge an Daten befördern zu können.“

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Meier!

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