Startseite Insights Fachartikel Prozessautomatisierung – Voraussetzungen und Herausforderungen automatisierter Büroabläufe

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Der Nutzen automatisierter Büroabläufe wurde durch die Corona-Krise offensichtlicher denn je. Zahlreiche Tools und Technologien bieten ein erhebliches Rationalisierungspotential – was sich besonders im Recruiting-Prozess zeigt.

Während in der Produktion automatisierte Fertigungsverfahren längst etablierte Standards sind und massive Produktivitätsfortschritte bringen, wird in den Büros nach wie vor wenig strukturiert gearbeitet.
Ausgefeilte Abläufe wie etwa in der Automobilfertigung, wo mittels Just-in-Sequence die Bauteile eigens für die Montage eines individuell konfigurierten Fahrzeugs angeliefert werden, sind in vielen Kontoren noch Fehlanzeige. Stattdessen werden Dokumente meist noch per E-Mail versandt – als Anhänge, die umständlich geöffnet, gesichtet, abgelegt und bearbeitet werden müssen. Die Kommunikation erfolgt über Telefon, E-Mail, manchmal schon per Chat oder Messaging – aber überwiegend zwischenmenschlich.
Zwar sind diese Kommunikationsformen für den persönlichen Zusammenhalt sehr wertvoll, eignen sich aber nicht zum optimalen Abarbeiten von Aufgaben.

Dreifacher Durchbruch.

Prozesse sollten grundsätzlich in dem «magischen» Dreieck Zeit, Kosten, Qualität bewertet werden. Diese drei Faktoren können jedoch nie gleichzeitig optimiert werden, denn jede Beschleunigung des Prozesses etwa kann zu Lasten der Qualität gehen, und jede Qualitätssteigerung kostet Geld.
Automatisierte Abläufe indes ermöglichen bei allen drei Parametern gleichzeitig massive Verbesserungen. Denn sie sind standardisiert und somit weniger fehlerbehaftet. Darüber hinaus lassen sie sich beliebig multiplizieren, ohne dabei hohe Personalkosten zu verursachen.
Betriebswirtschaftlich bedingen automatisierte Prozesse, dass die Stückkosten je Vorgang mit zunehmender Fallzahl sinken. Und natürlich kennen sie keine Arbeitszeiten, keine Wochenenden und auch keinen Urlaub. Zudem reagieren sie, sobald sie angestoßen werden, unmittelbar, ohne nennenswerte Verzögerungen.

Prozessanalyse und BPMN.

Vor der Automatisierung sollten alle Vorgänge abhängig von folgenden Schlüsselfragen genau beschrieben werden:

  • Was löst den Vorgang aus?
  • Wer bearbeitet ihn?
  • Welche Information (gegebenenfallswelches Dokument) ist dazu nötig
  • Wieviel und wie häufig fallen Liege- und Bearbeitungszeiten an?
  • Welche Kosten werden verursacht?
  • Welche weiteren Abhängigkeiten gibt es, die geklärt werden müssen, um den gesamten Prozess abzuschließen?

Danach sollte das Arbeitsergebnis festgehalten werden. Dies kann in einem Dokument geschehen, in einer E-Mail genauso wie in der Maske in einer Anwendungssoftware. Zuletzt gilt es zu definieren, wie die Weitergabe des Ergebnisses oder des Kommunikationsvorgangs an die nachfolgende Instanz erfolgen soll, sodass eine Weiterbearbeitung beginnen kann.
Mithilfe der mittlerweile als Standard geltenden Methode BPMN 2.0 (Business Process Model & Notation) können all die Informationen abgebildet werden, die durch die Antworten auf die zuvor genannten Fragen gewonnen wurden.

Tools für die Automatisierung.

Das Besondere ist die Simulationsfähigkeit: Die Abläufe lassen sich visualisieren und mit Eingangsfällen befüllen. Somit lassen sich die Durchlaufzeiten und die Kostenentwicklung beobachten, Kapazitäten bestimmen und gegebenenfalls Engpässe und Flaschenhälse identifizieren.
Die Bewertung der Ist-Prozesse bildet die Basis für die Auswahl der zu automatisierenden Prozessschritte. Da sich die Investition in die Automatisierung mit der Zeit amortisieren soll, empfiehlt es sich, die wichtigsten Vorgänge (bemessen an ihren Auswirkungen auf Zeit, Qualität, Kosten) auszuwählen und eine mögliche Automatisierung zu prüfen.

Beispiel Recruiting.

Was bedeutet das konkret für den Prozess? Nehmen wir zum Beispiel einen betrieblichen Standardvorgang, an dem jeder Manager sehr gut überprüfen kann, wie weit die Automatisierung fortgeschritten ist: das Recruiting.
Der Prozess des Suchens und Einstellens von Arbeitskräften eignet sich zur Verdeutlichung hervorragend, weil er an die zwischenmenschlichen Beziehungen besondere Anforderungen stellt. Trotzdem lebt er davon, schnell, transparent und möglichst effektiv vor sich zu gehen.
Die Arbeiten beginnen in der Regel mit der Beschreibung einer Sollstelle in einem Fachbereich und enden mit der Besetzung des Arbeitsplatzes.
Vor allem diejenigen Prozesse, bei denen Informationen in semantischer Hinsicht beurteilt werden müssen, erweisen sich oft als herausfordernd – etwa bei der Aus- und Bewertung eines Lebenslaufs:
Zunächst muss der erste Prozessschritt diesen Lebenslauf aus einer E-Mail oder von einem Portal entnehmen, öffnen und in seine Informationsbestandteile zerlegen. Letztere können dann mithilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert und mit den Sollanforderungen verglichen werden. Solche semantischen Analysen sind noch recht neu. Fortschrittliche HR-Software nutzt sie aber bereits. So kann man zum Beispiel mit dem Programm CVlizer von JoinVision sehr gut ausprobieren, wie leistungsfähig die Texterkennung arbeitet und wie zuverlässig die Zuordnung der einzelnen Textbausteine zu den Feldern einer Skill-Datenbank erfolgt.
BPMN-Werkzeuge wie zum Beispiel Cawemo simulieren nicht nur. Sie bilden auch die Basis für Workflow-Umgebungen, wie Camunda, die den praktischen Ablauf steuern. Die Funktionen des CVlizer etwa lassen sich in einen solchen Ablauf einbinden.
Die korrekte Prozessbeschreibung vorausgesetzt, bieten diese Programme viele intelligente Funktionen: Sie überwachen nicht nur den Posteingang; basierend auf definierten Ereignissen und Zeiträumen werten sie auch Chats aus – eine Funktion, die auch für die automatische Erkennung bestimmter Schlüsselbegriffe aktiviert werden kann; zudem übernehmen sie technische Aufgaben wie etwa die Nutzung der cloud-basierenden Microservices oder die Überführung der Daten von einem Quell- in ein Zielsystem.
Weitere Bearbeitungsschritte werden angestoßen. Gängige Praxis ist es zum Beispiel, Übersetzungsdienste zu nutzen, um etwa Bewerbungen in einer anderen Sprache direkt zu übersetzen.
In unseren Business Intelligence-Projekten nutzen wir diese Möglichkeiten bereits heute, um KI-Services zum Beispiel von IBM Watson oder «Google AI Platform» einzubinden, oder programmieren sie mithilfe der Computersprache R selbst, wo die klassischen Entscheidungstabellen und Desicion Requirements Diagrams an ihre Grenzen stoßen – wenn nötig auch auf verteilten Plattformen mittels SPARK, eines IT-Frameworks für Cluster Computing.
Der Vorteil solcher externen Services ist die kontinuierliche Optimierung der Verfahren, die für das Anwenderunternehmen und deren IT transparent abläuft. Die Anwender brauchen sich nicht um Details zu kümmern; sie erkennen einfach am Ergebnis, wenn eine immer bessere Übereinstimmung erzielt wird.

Trend zu workflow-basierter Technik.

Der Trend zu derartigen Lösungen ist aktuell in vollem Gange. Noch ist es zu früh abzusehen, welche Plattformen und Anbieter das Rennen machen werden.
Fest steht jedoch: Wir erleben die Abkehr von monolithischen Applikationen, die vom Anwender eine funktionsorientierte und fertig strukturierte Steuerung erwarten, hin zu workflow-basierten Systemen, die sich fachbezogener Services bedienen, welche etwa von herkömmlichen Programmen geliefert werden.
Die für diese modernen Systeme notwendigen Schnittstellen heißen REST API. Das Akronym steht für «Representational State Transfer (REST) Application Programming Interface (API).»
REST stellt eher eine grundsätzliche Beschreibung der Programmierung zur Interaktion verteilter Anwendungen im Internet dar. Das Format ist in der Regel ein sogenanntes JSON-Objekt, das sehr gut weiterverarbeitet werden kann.
Noch ist für die praktische Umsetzung einiges an Programmierarbeit nötig. Aber zunehmend etablieren sich Low Code-Umgebungen, wie zum Beispiel Mendix, mit denen auch Nicht-Programmierer und IT- affine Mitarbeiter aus den Fachbereichen eigenständig systemübergreifende Lösungen entwickeln können.
Dieser grundsätzliche technologische Wandel hat zur Folge, dass nicht mehr die ERP-Lösung (etwa von SAP) das führende System in der IT von Unternehmen ist, sondern das Workflow-System.

Werkzeuge und Low Codes.

Welche Prozess-Tools und Low Code-Anwendungen werden aktuell eingesetzt und diskutiert? In erster Linie geht es um Technologien, die sich im Rahmen des Lösungsangebots der großen Softwarehersteller Microsoft und SAP bewegen.
Bei Microsoft interagieren diese Systeme vor allem mit den Cloud-Services und sind daher in einem kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess. Dies kann auch problematisch sein, da die zugrundeliegenden Technologien von heute auf morgen eingestellt werden. Eine Kerntechnologie in der Microsoft-Produktfamilie sind die Share-Point-Services, die von der hauseigenen Prozessmanagement-Lösung «Power Automate» (ehemals «Flow») als Datenbank und Dokumentenmanagementsystem genutzt werden – aber auch von Anbietern anderer weitverbreiteter Workflow-Technik wie etwa Nintex.
Derartige Werkzeuge kursieren zuweilen sogar schon als No-Code-Varianten, bei denen die Lösungen komplett mittels grafischer Bedienungsoberflächen entwickelt werden und nicht mehr mithilfe klassischer Programmiersprachen. Bislang aber erfüllen diese Technologien die Erwartungen hinsichtlich Einfachheit und Übersichtlichkeit noch nicht komplett.
SAP bietet für die Automatisierung eine eigene Technik an: Bei «SAP Business Workflow» werden die Transaktionen innerhalb von Programmen des Anbieters automatisiert. Jedoch können sie externe Dienste bislang kaum einbinden. Viele IT- Abteilungen sehen diese Lösung wegen Sicherheitsbedenken oft nicht gern.
Die Diskussion über IT-Sicherheit ist angesichts der Offenheit solcher Systeme wichtig. Es gibt bereits sehr fortschrittliche Methoden zur übergreifenden Authentifizierung wie etwa «OAuth». In der Kombination mit Standards und Zertifikaten zur Kryptifizierung bieten sie ein potentiell hohes Maß an Sicherheit – obgleich das technisch komplexe Fachgebiet zumindest die Fachanwender meist überfordert.
Das zuvor schon genannte Tool Mendix ist eine Plattform, die sich großer Beliebtheit erfreut. Sie wurde von Siemens im Zuge der eigenen Digitalisierungsstrategie erworben und zeichnet sich durch die Unterstützung des Internet of Things (IoT) aus – kann also zum Beispiel Sensoren ab- fragen und Aktionen in Geräten ansteuern und bildet somit hinsichtlich der Automatisierung eine wichtige Erweiterung im Hinblick auf physische Prozesse.

Marktübersicht in Vorbereitung.

Auch wenn noch nicht absehbar ist, welche Technologien sich durchsetzen, sollten sich Unternehmen früh mit der toolgestützten Automatisierung von Prozessen beschäftigen: Es ist eine Investition in die künftige Wettbewerbsfähigkeit.
In der Praxis haben wir bereits gute Erfahrungen mit der erwähnten Umgebung Camunda und auch mit Nintex gesammelt. Mit dem Servicedesk von JIRA lassen sich ebenfalls exzellente Work- flows erstellen, die weit über reine IT- Dienste hinausgehen und zu einem Work- flow-Launchpad erweitert werden können.
Um den Anwendern eine bessere Übersicht über das schnell wachsende und komplexe Angebot an Werkzeugen zu bieten, arbeiten wir aktuell an einer vergleichenden Marktübersicht.

Frank Hendricks arbeitet seit 1993 als Unternehmensberater. Der Wirtschaftsinformatiker ist geschäftsführender Gesellschafter von HENDRICKS, ROST & CIE

Quelle: BUSINESS INTELLIGENCE MAGAZINE, www.bi-magazine.net
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