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„Den Führungsebenen fehlt es an grundlegendem technischem Verständnis für die Digitalisierung!“ Experteninterview mit Herrn Rafael Bujotzek

22. Februar 2017

Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen Führungskräfte in den Unternehmen nicht nur die technischen Möglichkeiten unserer Zeit akzeptieren und selbst anwenden, sondern auch traditionelle Organisations- und Machtstrukturen ändern. Wie ihnen das gelingen kann und wie sie ihre Angst vor dem Scheitern bewältigen – darüber sprachen wir mit IT-Experte Rafael Bujotzek.

Der Journalist Rafael Bujotzek befasst sich seit rund 23 Jahren mit Technikthemen. Als Reporter für das ZDF heute-journal und andere Medien hat er durch Recherchen und Hintergrundgespräche tiefen persönlichen und exklusiven Einblick in Politik, Forschung und Wirtschaft. Gleichzeitig sammelt er mit seiner IT-Beratungsfirma „glisco internet services” selbst Erfahrungen bei Kunden und mit eigenen Projekten. Sein Unternehmen arbeitet seit 2003 für verschiedene Sektoren – von der Gesundheitsbranche über Metallverarbeitung bis zum Investmentbanking mit Big Data. Bujotzek hat einen breiten Einblick in diese Bereiche und kennt die Strukturen und Abläufe.
Für Hendricks, Rost & Cie kann er daher den Blick in die Zukunft der technischen Entwicklungen und unseren Umgang damit wagen.

HRCIE: „Was bedeutet für Sie Digitalisierung?“

Rafael Bujotzek: „Die Digitalisierung schafft schon seit Jahren neue Möglichkeiten der Vernetzung für Menschen und Organisationen. Das Internet, wie es jeder aus dem Browser kennt, ist der zentrale Ort dieser Vernetzung. Seine Entwicklung kann in unterschiedliche Stufen unterteilt werden:
Web 1.0 fokussierte das Informationsangebot ohne Interaktion. Es war ein klassisches „Berieseln lassen“ mit Informationen. Sie wurden ausschließlich verteilt wie zuvor auch über die anderen Medien. Erst mit dem Web 2.0 fand ein Austausch und eine Weiterverteilung statt. Über Social Media treten alle miteinander in Kontakt, reden auf unterschiedlichsten Plattformen und sind durch die mobilen Geräte auch nicht mehr an einen Ort gebunden. Im Web 3.0, an dessen Schwelle wir uns gerade befinden, vernetzen sich die Dinge. Plötzlich sprechen selbst die Computer und einzelne Sensoren miteinander. Anwendungen findet man beispielsweise in der Haustechnik: Wenn das Smartphone erkennt, wann ich mich meinem Zuhause nähere, können die Systeme reagieren und die Heizung hochregeln, das Licht einschalten oder das Garagentor öffnen. Und das ist erst der Anfang der Entwicklung.
Technik kann uns Arbeit abnehmen. Sie soll nicht zu mehr Arbeit führen. Wir müssen Informationen daher besser und einfacher verarbeiten. Doch eine Frage bleibt immer: Wo geben wir dafür Informationen achtlos aus der Hand? Verstehen wir eigentlich noch, was da passiert und weshalb?“

HRCIE: „Was sollten Unternehmen maßgeblich im Zusammenhang mit der Digitalisierung beachten?“

Rafael Bujotzek: „Wo früher noch Können und Erfahrung eine Rolle spielten, wird heute mit Daten gehandelt. Mit der Digitalisierung bekommen Informationen eine neue Bedeutung: Schnelle Erhebungen, Vernetzung, Einordnung/Interpretation und Entscheidungen werden plötzlich auf allen Ebenen der Hierarchien und an allen Kontaktpunkten zum Kunden möglich und häufig sogar notwendig. Doch dieses Wissen kann noch lange nicht jeder gut beherrschen.

Hier braucht es grundsätzliches Umdenken im Umgang mit Daten und Informationen im Unternehmen: Selbst die interne Weitergabe von Wissen unterliegt noch immer traditionellen Organisations- und Machtstrukturen. Hinzu kommt, dass Fehler den Mitarbeiter schnell den Job kosten können. Auch Abteilungen konkurrieren. Informationen werden also entsprechend der Machtverhältnisse verteilt. Kulturell besteht daher bewusst eine fehlende Transparenz in Unternehmen. Und das schadet dem Gesamtanspruch.“

HRCIE: „Welche Rolle hat der Kunde?“

Rafael Bujotzek: „Der Kunde kauft nicht nur. Er hat seit Beginn des Web 2.0 immer mehr auch eine steuernde Funktion: vom Auslösen eines „Shitstorm“ über Bewertungen in Communities bis hin zu Vernetzung mit dem Unternehmen als Taktgeber. Trotz allem entscheiden Menschen heute noch immer aus dem Bauch heraus – besonders, wenn Informationen zu komplex werden. Grundsätzlich sind sie bequem und suchen nach einem einfachen Weg. Das führt auf Unternehmensseite zu der Tendenz, Kunden zu manipulieren oder – positiver ausgedrückt – sie durch „bedarfsgerechte“ Aktivitäten zu gewinnen. Hier setzen die Möglichkeiten der Informationengewinnung und -verwendung wieder an: Systeme sind darauf ausgerichtet, potenzielle Kunden so lange zu verfolgen und anzusprechen, bis sie kaufen. Dieser Prozess kann weitgehend automatisiert werden. Doch die Ansprache des Kunden darf nicht auf kurzfristige Geschäfte ausgelegt sein. Hier ist ein Vorteil des deutschen Unternehmertums, dass traditionell auch das Wohl des Kunden als Teil des eigenen Erfolgs im Blickfeld steht. An dieser Ethik muss festgehalten werden.“

HRCIE: „Welche Rolle hat der Mitarbeiter?“

Rafael Bujotzek: „Mitarbeiter spielen noch immer die wichtigste Rolle in der modernen Arbeitswelt. Sie werden nicht durch Prozesse und Roboter ersetzt, sondern ihre Tätigkeiten verlagern sich nur. Nachvollziehbar, dass auch hier ein Sinneswandel stattfinden muss. Niemand kann wie früher 40 Jahre auf dem gleichen Stuhl die gleiche Arbeit machen. Doch das ist auch ein Vorteil: Mitarbeiter haben die Gelegenheit zu Selbstverwirklichung und Entwicklung. Freizeit, Autonomie und Mitspracherecht nehmen stark an Bedeutung zu. Die Ansprüche der Mitarbeiter, ein hörbarer Teil des Unternehmens zu sein, waren noch nie so stark wie heute. Das müssen auch Führungskräfte verstehen und annehmen.“

HRCIE: „Was hindert das Unternehmen daran, sich zu verändern und die zunehmende Digitalisierung erfolgreich intern und extern zu nutzen?“

Rafael Bujotzek: „Viele Unternehmer können mit der Digitalisierung nicht wirklich umgehen. Bei der Generation, die an der Macht ist, findet sich die Digitalisierung vielleicht in der Strategiebeschreibung oder in der Unternehmensdarstellung wieder – nur die tatsächliche Umsetzung scheitert. Es wundert auch nicht: Wie sollen die Menschen in den Führungsetagen ein Unternehmen umkrempeln, wenn sie ihr eigenes iPhone nicht updaten können oder wollen. Wie sollen sie die richtigen Entscheidungen für die Digitalisierung treffen, wenn sie mit den alten Methoden groß geworden und nach oben gekommen sind. Da bleibt man lieber beim Alten.

Ein Generationswechsel könnte die Wende bringen oder ein radikaleres Umdenken hin zu Akzeptanz für die Möglichkeiten unserer Zeit: Statt Mut für neue Ideen in der Organisation oder für den Kunden zu fördern, wird in den Unternehmen jedoch immer weniger Kreativität zugelassen. Neben dem zunehmenden Leistungsdruck ist die Angst vor Fehlern und vorm Scheitern ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Kultur und führt zur Beibehaltung des Status quo. Dabei könnte man hierzulande etwa von der Kreativbranche lernen, die es schafft, sich immer wieder neu zu erfinden: Agile Prozesse, kurze Kommunikationswege und familiärer Zusammenhalt sind maßgeblich. Fehler zu begehen ist hier positiv besetzt und treibt das Unternehmen weiter an. Beim traditionellen Geschäft dagegen liegt der Fokus auf dem kurzfristigen Shareholder Value – Aktiengesellschaften lassen keine Experimente zu.

Die Digitalisierung ermöglicht aber ganz neue Geschäftsmodelle, die selbst etablierte Leistungen „kannibalisieren“ können. Solche Gedanken müssen zugelassen werden. Damit entstehen zwar kurzfristig Verluste, langfristig möglicherweise nachhaltige Rentabilität. Das kennen deutsche Familienunternehmen aus ihrer Geschichte. Sie haben sich häufig mehrfach neu erfinden müssen. Dieses Bewusstsein in die heutige Zeit zu transferieren und auch hier auf Nachhaltigkeit setzen, ist eine große Herausforderung für sie.

Mit der Digitalisierung eröffnen sich viele neue Möglichkeiten für Unternehmen. Und ein hohes Einsparpotenzial, wenn sie bereit sind, eingestaubte Prozesse über Bord zu werfen. In Deutschland reagieren Unternehmen nach wie vor erst, wenn sie vor Problemen stehen. Doch um nicht auf der Strecke zu bleiben, müssen deutsche Unternehmen endlich die Ziele fokussieren und bei der Umsetzung mehr wagen.“

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bujotzek!

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