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Experteninterview mit Herrn Markus Väth

12. Dezember 2016

Die Digitalisierung wird oft nur als eine Frage der richtigen Technik gesehen – dabei erfordert sie ein Umdenken in sämtlichen Bereichen eines Unternehmens. Es braucht vor allem die Bereitschaft, auf die Bedarfe der Kunden kompetent und schnell einzugehen. Digitalisierung wird damit auch zu einer Frage der Unternehmenskultur.
Über dieses spannende Thema und den daraus resultierenden Handlungsbedarf für Unternehmen sprachen wir mit Markus Väth.

Markus Väth begleitet als Coach, Berater und Speaker Organisationen beim Übergang von alter zu neuer Kultur, von Old Business zu New Work. Er gilt nicht nur als Verfechter einer neuen Arbeitsphilosophie, sondern auch als renommierter Burnout-Experte. Das Handelsblatt hat Markus Väths aktuelles Buch „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt“ als „Buchempfehlung des Jahres“ ausgezeichnet.

HRCIE: „Herr Väth, was bedeutet für Sie Digitalisierung?“

Markus Väth: „Die Digitalisierung schafft vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung, der Kommunikation und der Prozessautomatisierung. Der Zugang zu Informationen wird einfach, und dies schafft enorme Transparenz. Unternehmen ist es so möglich, die Bedarfe und das Verhalten der Kunden genau zu analysieren und bedarfsgerechte Lösungen für sie zu entwickeln. Kunden wiederum wissen genau, wie und wo sie ihre Bedarfe optimal befriedigt bekommen.
Mithilfe der sozialen Medien erzielt ein Unternehmen eine hohe Reichweite. Die Beziehung zwischen Mensch und Technik wird sich jedoch noch massiv verändern. Hier stehen wir erst am Anfang und können heute nicht erahnen, welche Beziehungen und Vernetzungen noch kommen werden. Fokus ist und bleibt der sinnvolle Einsatz und dieser beginnt beim Menschen.“

HRCIE: „Was sollten Unternehmen maßgeblich im Zusammenhang mit der Digitalisierung beachten?“

Markus Väth: „Unternehmen stützen sich auf die Technik, in der Hoffnung, damit gewisse Probleme zu lösen oder schwer greifbaren Zukunftsanforderungen gerecht zu werden. Aber Prozesse zu digitalisieren bedeutet nicht gleichzeitig, bessere Entscheidungen zu treffen oder die Kunden effizienter erreichen zu können. Im Unternehmen sind grundlegende Fragen zu beantworten, wie beispielsweise: „Wie möchte ich konkret auf den Kunden eingehen?“ und „Möchte ich mit ihm tatsächlich in Kontakt treten oder nicht?“ Ich muss mir als Unternehmen klarmachen, welche Bedeutung und auch Konsequenzen „in Kontakt treten“ für die Organisation und die Prozesse hat. Die Digitalisierung selbst kann nur Fragen der Technik beantworten und nicht Fragen der Kultur und damit der Haltung einer Organisation gegenüber den Kunden und auch sich selbst.
„Vernetzung“ und „Online-sein“ bedeutet für das Unternehmen auch, dass sich vorhandene Strukturen auflösen und damit die Kontrollmöglichkeiten verringern. Vernetzung erfordert eine andere Zusammenarbeit – und auch die Bereitschaft, Stärken und Schwächen zu identifizieren, Wissen zu teilen etc. Das wirkt einer zentralisierten Kontrolle entgegen.

HRCIE: „Schnelle Problemlösung durch Vernetzung von Wissen wird also zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor?“

Markus Väth: „Heute greifen wir in Organisationen auf „Wissenscontainer“ zu, indem wir bestimmtes Wissen bei einem Mitarbeiter oder in einer Abteilung anfragen bzw. Probleme durch definierte Personen/Abteilungen lösen lassen. Der Lösungsprozess ist oftmals per Prozess definiert, aufwendig und zeitintensiv.
Die Digitalisierung erleichtert Prozesse, Kommunikation und Wissensaustausch – diese werden schneller, unmittelbarer und dichter. Das ist auch gut so, denn in der „VUCA“-Welt von morgen müssen Probleme schnell gelöst werden. Das führt zwingend zur Auflösung individueller Wissenscontainer und zu einer Haltung, die eine gemeinsame Problemlösung ermöglicht. Auch hier verändert die Digitalisierung nicht den Sinn des Prozesses, auch nicht den Charakter der Kommunikation und genauso wenig die Bereitschaft zum Austausch.“

HRCIE: „Welche Probleme sind aktuell für Unternehmen bereits spürbar?“

Markus Väth: „Die Verfügbarkeit und Vernetzung von Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten überfordert viele Unternehmen. Auf der anderen Seite verändert sich die Erwartungshaltung der Kunden. Der Kunde hat durch die Vernetzung und vielfältigen Informationen im Netz die Möglichkeit, das Unternehmen besser kennenzulernen. Der Auswahlprozess und Kontaktmöglichkeiten verändern sich massiv. Der Kunde rückt näher an das Unternehmen – im Positiven wie im Negativen. Das setzt die Unternehmen unter Druck.“

HRCIE: „Was empfehlen Sie Unternehmen – wo sollten sie ansetzen?“

Markus Väth: „Das Management muss sich bewusst werden, welchen Preis es bezahlt, wenn es weiter so agiert wie bisher. Unternehmen brauchen Werte und Technik, um kompetent zu reagieren – das bedeutet, neben der modernen Technik auch die Bereitschaft zu haben, kompetent und schnell zu handeln. Weg vom Fetisch des gelernten „Machens“ und der „Kontrolle“ – es gilt vielmehr, Ergebnisse wahrzunehmen und flexibel zu agieren.
Hier brauchen wir eine Lernbereitschaft bei den Führungskräften, die analysieren, was tatsächlich sinnvoll zu digitalisieren ist. Anschließend lautet die zentrale Fragestellung: Ist das Tool die Lösung für mein Problem oder muss ich ein Kulturproblem lösen?
Probleme mit Technik zu lösen, ist ein „Lösungsvorgehen“ der alten Welt und führt selten zum gewünschten Ergebnis. Wir brauchen hier zwingend einen Paradigmenwechsel! Sonst wird in den nächsten 15 Jahren in vielen Unternehmen das Licht ausgehen. Leider wird in Unternehmen eher panikartig restrukturiert, anstatt eine neue Haltung und neue Vorgehensweisen auszuprobieren.
Unternehmen, die überleben wollen, müssen den Paradigmenwechsel akzeptieren, eine kollektive Lernbereitschaft anstreben und klug sowie mit Augenmaß Tools einsetzen. Das erfordert Innovationsbereitschaft und neue Ideen. Fehler müssen genauso erlaubt sein wie Entwicklung. Authentizität und Wirksamkeit werden wichtige Eigenschaften. Leider haben wir vorwiegend in Deutschland eine „Demütigungskultur“. Wir schauen nur auf die Fehler.“

HRCIE: „Was hindert das Unternehmen daran, sich zu verändern und die zunehmende Digitalisierung erfolgreich intern und extern zu nutzen?“

Markus Väth: „Die bisherige Organisation von Unternehmen und deren Arbeitsprozesse sind für die Möglichkeiten der Digitalisierung von Abläufen und Produktionsmethoden ungeeignet. Trotz allem wissen wir, dass die Wirtschaft und Gesellschaft modernisiert werden müssen. Die Erkenntnisse sind in den Unternehmen vorhanden. Inhaltlich sind die meisten Anforderungen bekannt. Doch bleibt die Frage, warum uns die Umsetzung nicht gelingt. Denken und Fühlen funktioniert noch – aber es gibt nur wenige, die tatsächlich etwas tun.“

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Väth!

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